21. August 2008

So viel gereist wie seit 15 Jahren nicht mehr

21.08.08 - 2007 wird als Rekordjahr in die Reisegeschichte der Schweiz eingehen. Nach Jahren der Stagnation sind Herr und Frau Schweizer seit 1992 nie mehr so viel gereist wie im vergangenen Jahr. Dies ist das wichtigste Ergebnis einer Untersuchung zum Reiseverhalten der Schweizer Bevölkerung, die vom Institut für Öffentliche Dienstleistungen und Tourismus der Universität St.Gallen durchgeführt wurde.

Der «Reisemarkt Schweiz» ist die älteste, regelmässig durchgeführte Untersuchung zum Kundenverhalten im Schweizer Tourismus. Seit 1972 werden im Abstand von zwei bis drei Jahren repräsentative Daten erhoben. In diesem Jahr, der insgesamt 17. Untersuchung, wurden rund 1'900 Haushalte befragt. Realisiert wurde die Studie unter Leitung der Professoren Christian Laesser und Thomas Bieger vom Institut für Öffentliche Dienstleistungen und Tourismus der Universität St. Gallen.

Die Ergebnisse lassen sich im Vergleich zur letzen Befragung im Jahr 2004 wie folgt zusammenfassen:

Begünstigt durch das positive wirtschaftliche Umfeld ist die Mehrheit der Bevölkerung der Schweiz seit 1992 nie mehr so viel gereist wie 2007. 88% (+11%) der Bevölkerung haben letztes Jahr mindestens eine private Reise mit einer Übernachtung unternommen. Diejenigen, die am häufigsten reisen, leben in Städten und eher kleinen Haushalten und haben aufgrund ihrer Ausbildung und beruflichen Position auch die finanziellen Mittel dazu. Wer nicht verreist, hat oft keine oder nicht genügend Zeit oder Geld, wobei Geldmangel an Bedeutung gewinnt. Grosse Familien reisen deshalb nicht oder kaum.

Die Schweiz bleibt Top-Destination bei den Schweizerinnen und Schweizern, mit einem Marktanteil von derzeit noch 39% (-4%). Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Schweiz bei der eigenen Bevölkerung kontinuierlich Marktanteile verliert, im Berichtsjahr mehr als früher, nicht an die Nachbarländer allerdings, sondern an andere Länder Europas und Übersee. Ein gutes Viertel aller Reisen führte 2007 in die erwähnten Gebiete (+4%).

So überrascht es nicht, dass das Flugzeug als Transportmittel deutliche Marktanteile gewonnen hat (+7%). Ein Viertel aller Reisenden flog und liess das Auto zu Hause (-10%). Die Bahn gewann ein gutes Prozent (Marktanteil: 16%). Diese Entwicklung ist sicher eine Folge der wachsenden Präsenz von Low Cost bzw. Low Price Airlines in der Schweiz und den Flughäfen im angrenzenden Ausland. Es sind denn vor allem diese Airlines, die neuen Verkehr und damit Reisenachfrage generiert haben und sicher mit zur hohen Reiseintensität im vergangenen Jahr beigetragen haben. Wie nachhaltig diese Entwicklung ist, wird die Zukunft – und die nächste Umfrage im Jahre 2010 zeigen.

Der Trend hinsichtlich des Zeitpunkts der Reisen zeigt zunehmend in Richtung des ersten Halbjahres. Der Juli bleibt der reiseintensivste Monat; die Rückkehr der Schweizer in den Wintersport hat auch zu einer Stärkung des ersten Halbjahres geführt. Reisen im Herbst sind zunehmend mangelgetrieben. Sie bleiben entsprechend eher aus, wenn der Sommer gut war. Die Folge dieser Verhaltensweise ist ein punkto Reisezeitpunkt stabiler Sommer und Winter, mit einem mäandernden und wetterabhängigen Anteil entweder im Frühling oder Herbst.

2007 kann als materialistisches Reisejahr charakterisiert werden. Man verreiste mehr denn je mit dem Ziel, sich verwöhnen zu lassen, etwas Aussergewöhnliches zu erleben und unterhalten zu werden, mitunter auch aus Prestigegründen. Dagegen sind sinngebende Reisemotive wie etwa der Wunsch nach Zeit für den Partner oder die Familie erstmals weniger ausgeprägt als in den vergangenen 10 Jahren. Dies bedeutet nicht, dass der Reisende keine Emotionen sucht, im Gegenteil: Zu den zentralen Reisemotiven gehören neu auch der Wunsch nach Wertschätzung, Ursprünglichkeit und persönlichen Herausforderungen.

Man will weiterhin nicht nur immer kürzer, sondern auch vermehrt länger verreisen. 70% aller Reisen dauern maximal eine Woche, 10% sind länger als drei Wochen. Die Kurzreisen haben im Vergleich zur letzten Untersuchung 2004 zu Lasten von 2 Wochen-Reisen weitere Anteile gewonnen, wogegen die langen Reisen ihren Marktanteil halten konnten.

Das Wachstum des Web als Informationsquelle stagniert. Das Web, Freunde und Verwandte sowie Broschüren von Destinationen und Reiseveranstaltern sowie Reiseführer decken den Informationsbedarf mehrheitlich ab. Die ersten drei Quellen haben hierbei etwa die gleiche Bedeutung. Wenn Herr und Frau Schweizer Informationen für eine Reise suchen beziehungsweise sammeln, gehen sie nach einer von fünf möglichen Arten vor. Abhängig von ihren Zielsetzungen für die Reise, ihrem Vorwissen oder auch den technischen und intellektuellen Möglichkeiten stützen sie sich entweder auf Printprodukte einer Destination (1), Online-Informationen einer Destination (2), Online-Informationen generell, insbesondere wenn sie ausserhalb der Schweiz reisen und weniger spezifische Informationen über das Reiseziel haben (3), Anreiz-Informationen wie etwa Inserate oder auch Teletext-Sonder-angebote (4) oder Unterhaltungsinformationen (5), wie sie etwa im Rahmen von Reiseberichten am TV oder auch aus Erzählungen von Freunden und Verwandten usw. gewonnen werden. Reiseveranstalter-Broschüren und Informationen von Mitarbeitern in Reisebüros werden punktuell bei allen fünf Möglichkeiten hinzugezogen.

70% aller Reisen werden immer noch selbständig, d.h. ohne einen Reiseveranstalter, organisiert. Dieser Anteil bleibt eher hoch (auch im Vergleich mit anderen europäischen Ländern) und kann damit begründet werden, dass Schweizer noch oft im eigenen Land Ferien machen und auch reiseversierter sind als ein Grossteil ihrer europäischen Kollegen. Die Schweiz kann hinsichtlich der Reisetätigkeit ihrer Bevölkerung als maturierter Markt bezeichnet werden.

Die wachsende Nachfrage zu Gunsten hochklassiger Hotels ist ungebremst. Ein Viertel aller Reisenden haben in einem Vier- oder Fünf-Stern-Hotel übernachtet (+7%). Die mittelklassige Hotellerie wird dagegen weiter aufgerieben (-5%), auch bedrängt von Ein-Stern-Hotels (+3% ). Ferienwohnungen verzeichnen ebenfalls eine Abnahme der Nachfrage (-2%). Die Gründe dafür sind vielfältig: zum einen suchen Schweizer Gäste das erwähnte «Verwöhnerlebnis» (vgl. Reisemotivationen), sie verlangen aber auch nach mehr Raum in Kombination mit weit reichenden Dienstleistungen und grosszügigeren Ausstattungen. Dies trifft insbesondere bei internationalen Reisen zu, welche 2007 deutlich Marktanteile gewonnen haben.

Der ausführliche Bericht zur Untersuchung kann bezogen werden unter: www.alexandria.unisg.ch/Publikationen/46512. Verfügbar ist dort auch eine Präsentation mit den wichtigsten Aussagen und Abbildungen zum Projekt.