3. Februar 2010

Mehr Zuzüger, mehr Geburten

03.02.10 - Im Jahre 2009 wurden bei der Kreuzlinger Einwohnerkontrolle insgesamt 1794 Neuzuzüger verzeichnet. 52 Prozent davon kamen aus der Schweiz - die meisten aus Thurgauer Gemeinden - 48 Prozent zogen aus dem Ausland in die Grenzstadt. Weggezogen sind im gleichen Zeitraum 1319 Einwohner, 914 in eine andere Schweizer Gemeinde, 405 ins Ausland. Die Stadt verzeichnete im vergangenen Jahr einen Geburtenüberschuss, dass heisst, es wurden 170 Kinder geboren, während 145 Einwohner verstarben. 2008 waren diese Zahlen gleich hoch, und 2007 verzeichnete man noch ein Defizit, wie heute das Thurgauer Tagblatt berichtet.

Insgesamt ergibt dies für 2009 ein Netto-Bevölkerungszuwachs von genau 500 Einwohnern. Den grössten Teil davon machen deutsche Staatsangehörige aus. Ende Jahr lebten insgesamt 400 Personen mehr aus dem Nachbarland in Kreuzlingen als zu Beginn. Schweizer Staatsbürger wohnen 30 mehr in Kreuzlingen. Von den 19 000 Kreuzlinger Einwohnern sind heute 48,6 Prozent Ausländer. Am 31. Dezember 2008 lag der Anteil noch bei 47,8 Prozent.


Kein Geschrei um die Deutschen
Die Stadt Kreuzlingen wächst im Rekordtempo. Vor allem Deutsche zieht es in die Grenzstadt. Stadtammann Andreas Netzle über das Zusammenleben mit den neuen Bewohnern und die Zukunftsaussichten.

Herr Netzle, Kreuzlingen hat die Marke von 19 000 Einwohnern letzte Woche geknackt. Innert eines Jahres ist die Bevölkerung um 500 Personen gewachsen. Wer sind die neuen Kreuzlinger?
Andreas Netzle: Es sind grösstenteils Erwerbstätige. Die vielen Deutschen werden von der Erwerbsmöglichkeit und von der Nachbarstadt Konstanz angezogen. Dort sind Bauland und Wohnungen knapp und durch die Personenfreizügigkeit spielt es eigentlich keine Rolle mehr, auf welcher Seite der Grenze sie wohnen. Grundsätzlich gibt es für den Bevölkerungsanstieg viele Faktoren und Voraussetzungen. Der grosse Zuwachs kann aber nur erfolgen, wenn es auch genügend Wohnraum gibt und der Arbeitsmarkt dies zulässt.

Was bedeutet ein solcher Zuwachs für die Stadt?
Netzle:
Die Struktur der Zuwanderer hat sich in der Vergangenheit verändert. Früher kamen viele Ausländer mittels Familiennachzug der Gastarbeiter nach Kreuzlingen. EU-Bürger, die seit der Freizügigkeit kommen, brauchen eine Stelle und bezahlen dann auch ihre Steuern. Der Rückgang des Steuerertrags bei Firmen und Unternehmen konnte durch diesen Zuwachs bei den Privatpersonen in den letzten Jahren kompensiert werden.

Bleiben denn die Deutschen in Kreuzlingen?
Netzle:
Dieser starke Zuwachs aus Deutschland ist nicht unbedingt nachhaltig. Die Leute sind mobiler als früher. Wenn sich die wirtschaftliche oder steuerliche Situation und der Bodenpreis ändert, gehen sie eher auch wieder weg. Als Beispiel: Wenn Deutsche ihre Kinder in Konstanzer Schulen schicken, zeigt dies, dass sie sich nicht voll auf den Wohnort Kreuzlingen eingelassen haben.

Ist das nicht ein Risiko?
Netzle:
Nur ein theoretisches. Kreuzlingen und auch die umliegenden Gemeinden sind ein vorteilhafter Standort. Nicht nur wegen der schönen Lage.

Nun rechnet man im Moment aber nicht mit einem Rückgang, sondern einer weiteren Zunahme der Bevölkerung. Wie weit kann Kreuzlingen noch wachsen?
Netzle: In der Stadtentwicklungsplanung (Step) haben wir langfristig mit einem Wachstum von durchschnittlich 0,5 bis 1 Prozent gerechnet. Wenn man die bestehenden Bauzonen voll ausnützt, gibt es noch Potenzial für etwa drei- bis viertausend Einwohner. Dabei muss aber vor allem im Zentrum die Siedlungsstruktur verdichtet werden.

Was ist mit der Infrastruktur?
Netzle:
Die Kapazitäten der Strassen reichen aus. Natürlich werden wir weiterhin an einer guten Erschliessung arbeiten und im Rahmen des Agglomerationsprogramms auch den öffentlichen Verkehr fördern.

Das Zusammenleben zwischen Schweizern und Deutschen funktioniert nicht überall reibungslos.
Netzle:
Kreuzlingen hat eine lange Erfahrung mit einem hohen Ausländeranteil. Auch die über 20 Prozent Deutschen «verkraften» wir gut – jedenfalls besser als die Zürcher, die zurzeit ein Geschrei um ihre weit unter zehn Prozent Deutschen machen. Wichtig ist einfach, dass sich die deutschen Zuzüger bewusst sind, dass auch sie etwas für ihre Integration tun müssen.

Ist Kreuzlingen als Grenzstadt ein Sonderfall bei der Integration?
Netzle:
Wenn ein so massiver Zuwachs an Einwohnern aus einer Nation stattfand, führte das schon immer zu gewissen Spannungen. Zuerst die Italiener und Spanier, später die Tamilen und die Menschen vom Balkan. Ich bin zuversichtlich, dass die Kreuzlingerinnen und Kreuzlinger auch diesen momentan massiven Zustrom aus einem Land gut aufnehmen und Vorteile daraus ziehen.

Wenn das Wachstum in diesem Tempo weitergeht, werden in der Stadt bald mehr Ausländer als Schweizer leben.
Netzle:
Auf diesem hohen Niveau macht das keinen Unterschied mehr. Selbstverständlich müssen wir ständig an der Integration arbeiten. Der Ausländerbeirat ist ein Beispiel für unsere Bemühungen. Wir erwarten aber auch von den Deutschen, dass sie sich auf ihren Wohnort mit seinen Möglichkeiten der Beteiligung am gesellschaftlichen Leben einlassen.

Interview: Urs Brüschweiler, Thurgauer Tagblatt